Neue Musik: In den Schmetterlingsnetzen der Gymnasiasten
von Daniela Tomasovsky (erschienen am 13. 12. 2004 in „Die Presse“)
Dada, Aristophanes und Elfriede Jelineks Theatertexte: Österreichische Forscher über „Kunst und Antikunstkonzepte in der Neuen Musik“.
„Es ist ein beruhigendes Gefühl, die Welt geärgert zu haben“, schrieb Richard Huelsenbeck, Mitbegründer des Dadaismus. Mit diesem Zitat eröffnete Hartmut Krones, Professor für Musikalische Stilforschung an der Musikuniversität Wien das Symposion „Kunst und Antikunstkonzepte in der Neuen Musik“. Provokationen wie „Dada“ waren in der Kulturgeschichte keineswegs neu, zeigte er an Aristophanes‘ Komödie „Die Frösche“: burleske Szenen, Verkleidungen, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, Verse, die Nonsense-Gedichten gleichen. So heißt es: „Brékekekéx koáx koáx! Ihr Kinder von Sumpf und Bach, lasst uns der Hymnen Flötenton anstimmen, wohltönenden Gesang nun, koáx, koáx.“ Krones: „Aristophanes war nichts heilig, aus den Versatzstücken hoher Kunst – etwa von Aischylos und Euripides – machte er Anti-Kunst.“
Knapp 500 Jahre später verstand sich auch Seneca auf die Parodie: In „Apokolokyntosis“ („Verkürbissung“) macht er sich über die Vergöttlichung des toten Kaisers Claudius lustig. Krones: „Der Kürbis war bei Griechen und Römern Symbol für einen Dummkopf, weil er innen hohl ist.“
Als Beispiel für Anti-Kunst des Mittelalters nennt Krones das „Quodlibet“. „Durch seine ostentative Heterogenität sollte es belustigen, karikieren oder bizarr wirken.“ Quodlibet-Komponist Melchior Frank vertonte etwa dieses Text-Mischmasch: „Hört zu, lasst euch sagn, Glock hat neune gschlagn! Unser Mutter Bruder Sohn, der hat eine gelbe Pfeife. Kauft Besn ihr Weiber!“ Das klingt schon fast wie Huelsenbecks Dada-Gedichte: „Sehet den Knochenfraß sokobauno sokobauno, sehet den Mutterkuchen, wie er schreiet in den Schmetterlingsnetzen der Gymnasiasten.“ Wer das nicht versteht, dem hilft vielleicht ein Zitat von John Cage weiter: „I have nothing to say and I am saying it and that is poetry.“
Krones: „Anti-Kunst will immer herkömmliche Traditionen aufbrechen, stellt sich gegen das Verspießte, allzu Hehre, Heilige und Wahre. Sie ist ein ,Anti‘ gegen das Festgefahrene, ein ,Pro‘ für das Fließende.“ Was Kunst ist, dürfe nie endgültig formuliert werden, denn: „Die Gefahr jeder Formulierung ist ihre Erstarrung zum Gesetz – und das Gesetz ist der größte Feind der Kunst.“
Mit dem Aufbrechen des traditionellen Theaters befasste sich Manfred Wagner: Er stellt dem Gesamtkunstwerk der (Spät-)Romantik die „Mixed-Media-Technik“ gegenüber, bei der die Kunstformen nicht verschmolzen, sondern überlagert werden. Das offene Drama weise über sich selbst hinaus, sei weder an Zeit noch an einen Ort gebunden. Wagners Vermutung: Der Aufbruch Richtung Mixed-Media-Technik korrelliere mit einem Wandel der politischen Kultur hin zu breiterer Partizipation. „Stets, wenn viele Menschen am politischen Meinungsprozess mitwirken konnten, kam ein Aufbruch zu einer offenen Form. Etwa in Griechenland, im frühen Mittelalter, in der Aufklärung, in den 1920er und 1960er Jahren.“
Pia Janke – sie hat ein Werkverzeichnis zu Elfriede Jelinek herausgegeben – analysierte die Komposition der Theatertexte Jelineks, die einem Steinbruch gleichen, aus dem sich ein Regisseur erst ein aufführbares Stück hauen müsse. Janke: „Der Dialog findet nicht zwischen psychologisch fundierten Figuren statt, sondern auf der Ebene der Sprache. Jelinek initiiert das Mit- und Gegeneinander, das Erweitern und Engführen von Stimmen des medialen, politischen, philosophischen und literarischen Diskurses immer aufs Neue. Sie bewirkt damit eine ungeheure Vielstimmigkeit, da die unterschiedlichen Sprechweisen einander potenzieren und so ungeahnte Bedeutungen aktivieren.“ Diese Interaktionen von Stimmen und Gegenstimmen seien „dramatischer als jedes vordergründige dialogische Werk“.